Für die Einen war es der Anbeginn eines neuen Zeitalters der Meinungsfreiheit. Für die Anderen war es der Startschuss zum großen „X-odus“. Seit Milliardär Elon Musk den Kurznachrichtendienst Twitter gekauft und später in X umbenannt hat, wird über die Social-Media-Plattform viel diskutiert.

Musk hat seit seiner Übernahme zahlreiche ehemals auf Twitter gesperrte Rechtspopulisten wieder zurückgeholt, Desinformation und Hassrede werden weniger moderiert und haben eine größere Plattform. Unter anderem deswegen haben sich etwa der Deutschlandfunk oder die AOK Baden-Württemberg mittlerweile von X zurückgezogen.

Mit Vaude hat sich Ende März auch ein Unternehmen aus dem Bodenseekreis vom Netzwerk verabschiedet. Der Schritt sei ein „Zeichen gegen Desinformation, Hassrede und Rassismus“, heißt es in einer Pressemitteilung der Tettnanger Outdoor-Mittelständler.

Immer mehr Desinformation

X habe sich seit der Übernahme durch Elon Musk besonders negativ entwickelt, sagt Manfred Meindl, Marketingchef von Vaude, im Gespräch: „Da haben wir beobachtet, wie die Kommunikation immer härter und unschöner geworden ist.“ Vor allem rechtspopulistische Meinungen seien immer stärker vertreten. Musk selbst verbreitet sie an die knapp 182 Millionen Menschen, die ihm folgen. Für Vaude sei das kein Umfeld mehr, in dem sie mit ihren Beiträgen erscheinen wollen.

Elon Musk ist seit Oktober 2022 neuer Besitzer des Sozialen Netzwerks X, ehemals Twitter.
Elon Musk ist seit Oktober 2022 neuer Besitzer des Sozialen Netzwerks X, ehemals Twitter. | Bild: Alain Jocard/AFP

Mit diesen Vorwürfen beschäftigen sich Beobachter und Forscher seit der Übernahme durch Musk im Oktober 2022 immer wieder. Unter anderem verfolgt das amerikanische Unternehmen Newsguard die Entwicklung in Sachen Desinformation auf X. Newsguard bewertet die Glaubwürdigkeit von Nachrichten und Informationen im Internet.

Auf X hatten sie schon in der ersten Woche nach der Übernahme große Veränderungen festgestellt. Beiträge von einigen der reichweitenstärksten und von Newsguard als nicht vertrauenswürdig eingestuften Nutzer erhielten 57 Prozent mehr Interaktionen etwa in Form von „Gefällt-Mir“-Angaben. Eine Entwicklung, die sich laut Newsguard bis zum Herbst 2023 sogar noch intensiviert haben soll. Etwa dadurch, dass X staatsnahe Nutzer und Medien nicht mehr als solche kennzeichnet.

Konsequenzen nicht nur auf X

Vaude hat jedoch nicht nur auf X die Reißleine gezogen. Zwar wollen sie Instagram, Facebook und Co. laut Manfred Meindl weiterhin nutzen, die Werbung stellen sie aber auch dort ein. Denn: Auch dort sei aus Sicht von Vaude nicht klar, zwischen welchen potenziell diskriminierenden Beiträgen die eigene Werbung laufen könnte.

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Gerade mit Blick auf das Wahljahr zeigt sich Manfred Meindl besorgt: „Wir erwarten aufgrund der vielen Wahlen, dass die Kommunikation auf den Plattformen noch deutlich polarisierender und schärfer wird.“

Wichtige Themen vorantreiben

Unter dem Abschiedsbeitrag von Vaude auf X gibt es auch einige negative Reaktionen. Diese arbeiten sich insbesondere an der Ankündigung ab, dass sich das Unternehmen auf seinen anderen Kanälen künftig mehr für politische und gesellschaftliche Themen starkmachen möchte. „Schade, dass das Hauptbetätigungsfeld der Marke jetzt in der Politik liegt“, sagt ein Nutzer.

Einige der Reaktionen auf den Rückzug von Vaude von X/ehemals Twitter.
Einige der Reaktionen auf den Rückzug von Vaude von X/ehemals Twitter. | Bild: Screenshot twitter.com/vaude_sport

Insgesamt hat Manfred Meindl die Reaktionen auf den Schritt aber als positiv wahrgenommen. „Wenn ich zum Beispiel auf LinkedIn schaue, da war sehr viel Bestärkung dabei.“ Man wolle die Plattform in den anderen Sozialen Netzwerken weiter dazu nutzen, gesellschaftlich etwas anzustoßen und auf Themen wie die Klimakrise, Diversität und Rassismus aufmerksam zu machen.

Vaude spürt keine Auswirkungen

Aus geschäftlicher Sicht scheint der Rückzug von X und die Einstellung der bezahlten Werbung in allen Sozialen Medien aber bislang zumindest kein radikaler Einschnitt gewesen zu sein. Im ersten Monat seit der Entscheidung habe die Marke laut Manfred Meindl keine negativen Auswirkungen auf den Umsatz bemerkt.

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Wie wichtig ist Social Media für regionale Unternehmen?

Möchte Vaude nun auch andere Unternehmen zu ähnlichen Schritten inspirieren? Meindl sagt nein: „Wir sind überzeugt davon, dass es für uns die richtige Entscheidung ist, aber das muss jeder andere regionale Betrieb für sich entscheiden.“

Sabine Wienrich, PR-Referentin bei Knoblauch.
Sabine Wienrich, PR-Referentin bei Knoblauch. | Bild: Knoblauch

Das sieht auch Sabine Wienrich so. Sie ist PR-Referentin beim Inneneinrichter Knoblauch. Mit ihrer Präsenz in den Sozialen Medien sind die Markdorfer so zufrieden, dass sie ihr Engagement sogar ausbauen wollen. Gerade Instagram und LinkedIn seien wichtig für Knoblauch. „Auf unseren Kanälen ist der Ton nicht schlechter geworden. Es gibt ein faires, offenes Miteinander.“ Die Kritik an X kann sie aber nachvollziehen. Dort beziehungsweise auf dem Vorgänger Twitter sei das Unternehmen noch nie aktiv gewesen.

Auch ZF beobachtet die Situation

Den rauer werdenden Ton nimmt auch Automobil-Zulieferer ZF Friedrichshafen wahr. „Einen Rückzug von X haben wir immer wieder diskutiert, sind derzeit aber noch präsent, weil unsere Zielgruppen, Journalisten und Politiker dort immer noch recht aktiv sind“, sagt ein ZF-Sprecher. Dennoch habe die Plattform für die Friedrichshafener schon seit längerer Zeit an Bedeutung verloren.

Allgemein seien Soziale Medien aber ein immer größerer Faktor für den Technologie-Konzern. Ganz unabhängig von Werbemaßnahmen nehme Social Media „mit der wachsenden Zahl der Nutzer kontinuierlich an Bedeutung zu“, sagt der ZF-Sprecher weiter.