Stellen Sie sich vor: Ihr Freund ist Veganer – und spielt außerdem Geige. Darf er das? Ja, warum denn nicht, mag man im ersten Reflex antworten. Was soll an Musik unvegan sein? Wir essen sie ja nicht, sondern hören sie nur. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Die vegane Lebensweise, zumindest wenn man darin konsequent sein möchte, fokussiert sich nicht allein auf die Ernährung, sondern scannt alle Bereiche des Lebens auf ihre Tierhaltigkeit ab. Und die Musik, das ist vielen gar nicht so bewusst, steckt voller Tier.

Natürlich nicht die Musik selbst, die ist im Grunde ja nur in Schwingung versetzte Luft. Aber die Instrumente, die sie in Schwingung bringen, kommen zu einem großen Teil nicht ohne Zutaten tierischen Ursprungs aus, und sei es nur der Knochenleim, der die Hölzer in der Geige oder der Gitarre zusammenhält. Die Bögen von Streichinstrumenten beispielsweise sind traditionell mit Schweifhaaren mongolischer Hengste bespannt.

Ein sinnliches Konzerthappening

Was also bleibt von der Musik, wenn sie gänzlich tierfrei sein soll? Kann nur vegan leben, wer unmusikalisch ist? Oder wie klingt vegan? Dieser Frage ist ein Konzert in Freiburg nachgegangen, das der Verein „Mehrklang. Netzwerk Neue Musik Freiburg“ passenderweise in der Mensa veranstaltet hat, nach eigener Angabe „das erste vegane Konzert“. Untertitel „Ein sinnliches Konzerthappening“.

Nicht dass jemand auf die Idee kommt, Musik ohne Tier könne kein Genuss mehr sein. Diese Sorge treibt die Menschen ja auch im Hinblick auf vegetarisches und veganes Essen um.

Die erste Überraschung in der Öko-Hauptstadt Freiburg: Als Bernhard Wulff, der das Konzert mit konzipiert hat und nun auch moderiert, ins Publikum fragt, wer denn vegan lebe, hebt sich keine Hand.

Entweder sind die Leute also hier, um sich bestätigen zu lassen, dass bei tierfreier Musik nicht viel rumkommen kann – oder aber das Thema interessiert sie einfach ganz unvoreingenommen. Das wäre durchaus im Sinne des Erfinders. „Wir haben versucht, das Thema Veganismus mal zu Ende zu denken“, erläutert Bernhard Wulff. „Da wird man als Musiker schon nachdenklich.“

Blechbläser sind aus dem Schneider

Zunächst einmal geht es um eine wertfreie Bestandsaufnahme. In welchen Instrumenten sind tierische Produkte verbaut? Sigmar Fischer, Geschäftsführer vom Musik Gillhaus in Freiburg und in Kontakt mit vielen Instrumentenbauern, weiß da Bescheid.

Wer es kurz machen will, fragt am besten danach, welche Instrumente ohne Tier auskommen. Es sind grob gesprochen die Blechblasinstrumente wie Hörner, Posaunen oder Tuben, zumindest so lange sie kein Filz für die Ventildämpfung verwenden. Ausnahme ist das Jagdhorn, witzelt Fischer – aber das liegt natürlich vor allem an dessen Einsatzbereich.

Bei den Holzblasinstrumenten sind nur die Blockflöten aus dem Schneider. Fischer dazu: „Sobald Klappen dazu kommen, wie bei Klarinetten, Saxophonen und Querflöten, ist auch Filz (Wolle), Polster (Fischhaut, Leder) und Perlmutt im Spiel. Unser Saxophonbauer verwendet derzeit aufgrund guter Haltbarkeit Polster aus Känguruleder.“ Bei den Streichinstrumenten sind neben den Pferdehaaren für die Bögen auch Perlmutt und Horn im Einsatz, im Lack ist Schellack (von Schildläusen) enthalten. Historische Instrumente sind oft mit Darmsaiten bespannt.

Felle und Häute im Schlagzeug

Besonders rabiat geht es im Schlagwerk zu: „Vor den Percussionisten ist kein Tier sicher“, stellt Fischer fest. „Handtrommeln und viele andere Trommelinstrumente sind traditionell in allen Kulturen mit Häuten bezogen. Fischhaut, Ziegenleder, Kalbsleder. Teils wird auch behaarte Rinderhaut mit Lederschnüren gespannt (Ethno/Schamaneninstrumente), Bongos und Congas gerne mit Büffelleder. Professionelle Orchesterpauken werden mit Kalbshäuten bezogen. Selbst auf Kunststofffelle wird mit Filzschlägeln getrommelt.“

Zur Ehrenrettung der Percussionisten muss man hinzufügen, dass es gerade in diesem Bereich, der ja riesig ist, auch viele vegane Instrumente gibt wie Holzblocktrommeln, Rasseln, Glocken und Gongs. Auch gibt es für viele Trommeln inzwischen Kunststofffelle. „Hier ist die Kundschaft aufgeschlossen“, hat Fischer beobachtet, „da gute Tierhäute sehr teuer sind und auf veränderte Luftfeuchtigkeit sehr schnell reagieren.“

Skepsis gegenüber Ersatzprodukten

Ansonsten ist das mit den veganen Ersatzprodukten ähnlich wie im Bereich der Lebensmittel: Es gibt sie, aber es gibt auch eine große Skepsis: „Beim modernen Instrumentenbau könnte auf viel Tierisches verzichtet werden, wenn da nicht ebenso Tradition, Handwerkskunst und Klangvorstellungen dagegen stehen würden“, so Fischer. „Für Streicherbögen werden Haare aus Carbon angeboten. Spielgefühl und Klang ändern sich merklich.“

Für den Laienspieler mag der Unterschied nicht so groß sein. Doch Profimusiker können sich bereits über die klanglichen Auswirkungen unterschiedlicher Leime in der Geige leidenschaftlich streiten.

Das Freiburger Schlagzeugensemble bei der rhythmischen Herstellung einer veganen Suppe.
Das Freiburger Schlagzeugensemble bei der rhythmischen Herstellung einer veganen Suppe. | Bild: Jennifer Rohrbacher

Man ahnt schnell: Für die Programmgestaltung des veganen Konzerts in Freiburg war eine gewisse Findigkeit gefragt. Letzten Endes wird es nicht nur vegan, sondern ist auch frei von tierischem Ernst. So entsteht im Laufe des Konzerts eine vegane Suppe, deren Zutaten von sechs Schlagzeugern rhythmisch kleingeschnitten werden. Am Schluss darf das ganze Publikum zum Ausschank anstehen.

Womit lässt sich sonst noch tierfrei musizieren? Klar, auf dem Marimbaphon oder der überaus apart klingenden Glasharfe (Verrophon). Für beides lässt sich auch Originalmusik finden. Mozart etwa hat ein schönes kleines Stück für Glasharmonika komponiert – auch wenn der Anlass, Musik für ein veganes Instrument zu schreiben, kaum sein Antrieb gewesen sein mag.

Auch das Schweizer Alphorn hat einen Auftritt in der Freiburger Mensa – Pape Dieye kombiniert es schließlich noch mit der (als veganes Instrument nicht zu vergessenen!) eigenen Stimme. Und auch mit Feuerzeugen lässt sich rhythmisch Musik machen – es gibt tatsächlich eine ausnotierte Komposition dafür von Emmanuel Séjourne mit dem Titel „Vous avez du feu?“ Zum Arsenal von Natur aus veganen Instrumenten gesellen sich außerdem noch Trompete und zwei imposante Bassblockflöten.

Sophie Legat und Alessandra Riudalbas mit selbst hergestellten Gemüseflöten.
Sophie Legat und Alessandra Riudalbas mit selbst hergestellten Gemüseflöten. | Bild: Jennifer Rohrbacher

Das älteste gefundene Instrument – es stammt übrigens von der Schwäbischen Alb – ist eine 35.000 Jahre alte Flöte aus einem Knochen. Schon damals fing es also an mit dem Tier in der Musik. Was läge da näher, als pflanzlichen Ersatz zu schaffen: Alssandra Riudalbas und Sophie Legat präsentierten in Freiburg einen schön verhauchten „Blue Rag“ auf zwei selbst hergestellten Gemüseflöten.

Apropos Ersatz: Zumindest ein Material ist aus Tierschutzgründen schon seit Jahren verboten: Elfenbein, mit dem früher die Klaviertasten belegt waren. Hier wurde ein Kunststoff entwickelt, der sich beim Spielen ähnlich verhält.

Doch darüber hinaus steckt der vegane Instrumentenbau noch in den Kinderschuhen. Natürlich muss man sich auch fragen, ob Ersatzmaterialien, sofern sie aus Kunststoff hergestellt sind, unter ökologischen Gesichtspunkten immer eine Alternative sind. Und doch könnten Veganer in Zukunft eher mal ohne schlechtes Gewissen Musik machen.

Flöten lassen sich aus Karotten und anderem Gemüse selbst herstellen.
Flöten lassen sich aus Karotten und anderem Gemüse selbst herstellen. | Bild: Alessandra Riudalbas

Anleitung zum Bau einer Karottenflöte von Alessandra Riudalbas

Zutaten/Materialien: Dicke, nicht zu lange Karotten, Bohrer in verschiedenen Größen, Scharfe Messer, Optional: Babykarotten

  1. Schnitt: Zunächst schneidet man von der dünneren Seite der Karotte ein Stück ab, sodass ein senkrechter Schnitt entsteht.
  2. Bohrer: Anschließend nimmt man einen Bohrer und bohrt durch die Karotte. Achtung: Der Bohrer darf nicht durch die Karotte durch, die Flöte muss geschlossen bleiben. Es ist hilfreich, einen recht großen Bohrungsdurchmesser anzuwenden, da der Klang so viel schöner wird.
  3. Labium: Als nächstes folgt der knifflige Teil. Ungefähr 3 cm vom Eingangsloch entfernt setzt man senkrecht mit einem scharfen Messer einen Schnitt einige Millimeter in die Flöte. Anschließend schneidet man vorsichtig das Labium, so wie wir es von der Blockflöte kennen. Es sollte eine schräge fensterartige Öffnung entstehen.
  4. Kern: Als nächstes benötigen wir noch einen Block, dies ist ein eingesetzter Kern am Kopf der Flöte. Der Block sollte bis zum senkrechten Schnitt in die Karotte eingeschoben werden. Am besten dafür geeignet sind Babykarotten, die man so zuschneidet, dass zwischen der Bohrung und dem Block keine Luft durchdringen kann. Dies ist der eigentliche Knackpunkt, ohne einen dichten Block keinen Klang. Für ein angenehmeres Spiel kann eine Rundung am Mundstück helfen.
  5. Luftkanal: Nachdem der Block angepasst ist, benötigt man noch einen Luftkanal. Dieser ergibt sich, wenn von dem Block längs mit einem Sparschäler etwas abgetragen wird. Wichtig ist, dass der Block eine glatte Oberfläche hat.
  6. Feinschliff: Jetzt sollte die Flöte bereits klingen! Letzter Feinschliff sind nun die Löcher. Man achte auf einen guten Abstand und vor allem ein Daumenloch nicht vergessen.

Fertig ist die Karottenflöte. Viel Spaß beim Spielen!