Familie Pfitzmann macht einen Ausflug in den Wald, plötzlich schaut Mutter Gudrun erschrocken auf die Uhr: Schon so spät? Bald wird es dunkel. Nach Hause schafft es die Familie nicht mehr, einer hat sich verletzt. Die einzige Lösung: eine Nacht im Wald. Es regnet.
So oder so ähnlich könnte ein Szenario aussehen, das sich Familien ausdenken, weil sie das Überleben im Wald üben wollen. Ohne echte Gefahr, dafür mit einem Experten an ihrer Seite, der ihnen einen Tag lang viele Tricks und Kniffe zeigt.
Dieser Experte ist Fabian Ost, 35-jähriger Erzieher aus Heilbronn. Er lebt seit elf Jahren in Konstanz und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kindern, Jugendlichen und Familien die Natur näherzubringen und dabei auch sich selbst besser kennenzulernen.
An einem sonnigen Samstagmorgen Ende Februar 2024 gibt Fabian Ost sein Wissen an eine Wollmatinger Familie weiter. Gudrun und Kai Pfitzmann sind mit ihren Kindern Rika (9 Jahre), Romina (7) und Fabian (3) zum Grillplatz Eulenbach in Wallhausen gekommen, um zu lernen, wie sie sich auf längere Ausflüge vorbereiten und sich im Ernstfall verhalten sollen.
„Ich würde heute gern was bauen“, sagt Vater Kai Pfitzmann, 38 Jahre, IT-Berater. Das trifft sich gut: Genau diese Aufgabe hält Fabian Ost für die Familie bereit. Doch zunächst kommt der Theorie-Teil. Ost erläutert mehrere Möglichkeiten, sich an Bäumen oder hinter Erdwällen eine Schutzhütte zu bauen und gibt Tipps, wie die Familie sich auch bei Kälte und Nässe wärmen kann.
Dann erklärt er die Dreier-Regeln und gibt Familie Pfitzmann einen letzten Rat mit auf den Weg: „Wenn ihr gefunden werden wollt, legt einen Pfeil an den Wegesrand oder einen leuchtenden Gegenstand.“ Ob dazu auch das Spielzeug-Müllauto des dreijährigen Fabian taugt, das er unbedingt in den Wald mitnehmen wollte?
Apfelschnitze als Lockmittel
Und schon startet das Abenteuer. Familie Pfitzmann zieht los in den Wald und sucht eine gute Stelle, um sich einen Schutz für die Nacht zu bauen. Fabian nörgelt gleich bei den ersten Schritten: „Ich will nicht da hochlaufen!“
Mutter Gudrun, 43-jährige Wirtschaftsromanistin, zieht eine Dose Apfelschnitze als Lockmittel aus dem Rucksack. „Teilt sie euch gut ein, wir müssen jetzt drei Stunden überleben“, sagt sie und lacht. Dann geht die Familie weiter in den Wald hinein.
Zeit, um mit ihrem Trainer Fabian Ost über seine Berufung zu sprechen. Der 35-Jährige arbeitete 15 Jahre lang als Erzieher, auch in Konstanzer Kitas. Irgendwann stellte er fest, dass ihm etwas fehlt. Es zog ihn immer öfter raus in die Natur, er schloss sich der Gruppe Bushcraft Bodensee an und schnitzte, machte Feuer, baute Hütten.
Vor allem während der Corona-Pandemie sei er auf der Suche nach dem richtigen Weg gewesen. „Damals habe ich mich sehr ohnmächtig gefühlt und lauter Verschwörungstheorien gehört“, sagt Fabian Ost. „Ich musste sortieren, was für mich richtig ist, was ich glauben will. Der Wald wurde mein Zufluchtsort, denn dort gibt es nur Naturgesetze, keine Diskussionen. Hier bin ich der Schaffer meiner eigenen Realität.“
Fabian Ost, der in einer Wohngruppe für schwer Erziehbare arbeitet, machte sich parallel selbstständig. Mit „Waldabenteuer Bodensee“ will er „Wege aufzeigen, wie man mit Menschen umgeht, die anders sind. Das ist eine Kernkompetenz, weil jeder anders ist“.
Inklusionspreis für UV-Nachtwanderung
Für diesen Ansatz wird der zweifache Vater am Donnerstag, 21. März, mit dem Inklusionspreis des Landkreises Konstanz ausgezeichnet. Denn er entwickelte mit dem Verein Spektralkräfte, einem Autismus-Netzwerk, eine UV-Nachtwanderung für Jugendliche mit und ohne Autismus. „Damit ermöglichen wir Teilhabe am öffentlichen Leben“, sagt Fabian Ost. „Ich mache das ehrenamtlich, weil es mir am Herzen liegt.“
Um soziale Kontakte und Interaktion geht es auch bei seinen anderen Angeboten im Wald. Ob Taschenmesser-Diplom oder Kinderkurse: „Das Draußensein ist die Verpackung für die Fähigkeiten, die im Leben wichtig sind: Kommunikation, Empathie, Vorbereitung“, sagt der 35-Jährige. „Es geht um die Frage, was ich in meinen Rucksack packe.“
Im Großen möchte Fabian Ost die Menschen dazu ermächtigen, ihren Lebensrucksack sinnvoll zu füllen. Im Kleinen gibt er ihnen Tipps, was in den Wanderrucksack gehört. Familie Pfitzmann hat an diesem Tag das Nötigste dabei und werkelt weiter an ihrer Notbehausung.
Nach drei Stunden sind genug Äste gesammelt und an einem Baumstamm befestigt, Laub zum Abdichten und als Polster gesucht. „Ich bin erstaunt, wie schnell es ging, ein Dach zu bauen“, sagt Gudrun Pfitzmann. Doch ob das Dach für eine Nacht im Wald taugen würde, müssen der große und der kleine Fabian noch testen. Sie schütten Wasser darauf.
„Da tropft schon noch was durch“, ruft eines der Mädchen, die es sich im Inneren bequem gemacht haben. Dennoch sind sie zufrieden mit ihrem Werk. Familie Pfitzmann hat das Abenteuer Spaß gemacht. „Ich weiß nur nicht, ob wir tatsächlich mal im Wald übernachten“, sinniert Kai Pfitzmann. Seine Frau dagegen meint: „Ach, warum nicht?“ Für den Ernstfall wäre die Familie jedenfalls gerüstet.