Für ein Kind sorgen, das nicht das eigene ist? Nicht jeder kann sich das vorstellen. Dennoch leben mehr als 100 Kinder im Kreis Konstanz nicht mit ihren leiblichen Eltern, erleben aber ein reges Familienleben. So funktioniert das Konzept der Pflegefamilie.

  • Wie viele Pflegefamilien gibt es im Kreis Konstanz und in der Stadt Konstanz? Im Moment gibt es im Kreis Konstanz 135 Pflegefamilien, schreibt Marlene Pellhammer, Sprecherin des Landratsamts, auf Anfrage. 156 Kinder und Jugendliche seien in Vollzeit in Pflegefamilien untergebracht, weitere elf Kinder in Bereitschaftspflege. Es handle sich um Kinder und Jugendliche vom Säuglingsalter bis 20 Jahre. In der Stadt Konstanz, die ein eigenes Jugendamt hat, sind im Moment 58 Pflegefamilien gemeldet und ebenso viele Pflegekinder. 17 davon zählen zu den Verwandtenpflegen.
  • In welcher Situation braucht es Pflegefamilien? Eine Pflegefamilie wird dann für ein Kind gesucht, wenn keine Möglichkeit mehr besteht, es bei seinen Eltern zu lassen. Zuvor jedoch werde versucht, jede Option auszuschöpfen, damit das Kind in seiner Familie bleiben kann, wie Matthias Cermak, Leiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes und des Pflegekinderdienstes in Konstanz, im Gespräch erläutert.
    „Bei Säuglingen arbeiten wir mit Familienhebammen zusammen, die eine Familie unterstützen. Oder eine jugendliche Mutter geht in eine Mutter-Kind-Einrichtung und erarbeitet dort eine Perspektive für sich und das Kind.“ Allerdings seien diese Modelle nicht immer erfolgreich. Wenn sich die leiblichen Eltern nicht vorstellen können, das Kind zu erziehen oder trotz Hilfestellungen das Kindeswohl gefährdet ist, übernimmt der Pflegekinderdienst die Suche nach einer Pflegefamilie.
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  • Wann ist das Kindeswohl gefährdet? Eine pauschale Antwort dazu gibt es nicht und das Jugendamt will auch keine geben. „Grundsätzlich läuft die Grenze bei Gewalt, Misshandlung und Verwahrlosung“, erläutert Markus Schubert, Leiter der Sozialen Dienste im Jugendamt Konstanz. In diesen Fällen könne das Kind nicht in seiner Ursprungsfamilie bleiben. „Wenn wir feststellen, dass es in der leiblichen Familie nicht geht, müssen wir das Kind herausnehmen. Diese Entscheidung muss danach gerichtlich überprüft werden.“
  • Welche Voraussetzungen müssen Pflegefamilien mitbringen? Um ein Pflegekind aufzunehmen, braucht es keine pädagogische Berufsausbildung, schreibt Marlene Pellhammer für das Kreisjugendamt. Es gebe aber einige erleichternde Faktoren wie die Freude am Zusammenleben mit Kindern, Geduld und Einfühlungsvermögen sowie Gelassenheit und Humor. „Es ist wichtig, dass eine Pflegefamilie Platz für das Kind hat“, erläutert Judith Becirovic, Mitarbeiterin des Pflegekinderdienstes in Konstanz.
    Zudem muss sie finanziell abgesichert sein. Die finanzielle Unterstützung durch das Jugendamt darf kein Anreiz für die Aufnahme sein. Es sollten keine lebensbedrohlichen Krankheiten vorliegen. In Frage kommen alle Familien- und Lebensformen, Paare können Kinder ebenso aufnehmen wie Alleinstehende, Verheiratete sind so willkommen wie Unverheiratete und gleichgeschlechtliche Paare.
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  • Wie ist es, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen? „Wir hatten keine Vorstellung davon, wie sich der Alltag mit einem Pflegekind gestalten würde“, sagt Kordula Huentz, Mutter dreier eigener und eines sechsjährigen Pflegekinds. „Wir dachten, das Kind läuft so mit, wie bei einer großen Familie üblich.“ Ganz so einfach wurde es nicht. Der kleine Junge kam mit vier Monaten zu Familie Huentz. Zehn Tage und Nächte lang habe er nur geschrien und die Nahrung verweigert. „Ich habe ihm die Milch auf dem Löffel angereicht, irgendwann ging es“, erinnert sich die Kinderkrankenschwester.
    Dann kamen die Umgänge hinzu, die leiblichen Eltern des Pflegesohns kommen regelmäßig an einen neutralen Ort, um ihr Kind zu sehen. Anfangs fanden die Kontakte wöchentlich statt, später einmal im Monat. „Anfangs hatte ich das Gefühl, ich nehme ihnen das Kind weg“, sagt die Pflegemutter. Inzwischen habe sich das gelegt. Anstrengend bleiben die Umgangstermine jedoch weiterhin.
  • Wie entwickelt sich ein Pflegekind? Wie ein Kind, das in eine Pflegefamilie kommt, sich weiterentwickelt, ist nie absehbar. Das kann Risiko und Anreiz einer solchen Aufgabe zugleich sein. Beim Pflegesohn von Kordula Huentz wurde im Alter von etwa einem Jahr klar, dass eine größere Entwicklungsverzögerung vorliegt. Inzwischen ist klar: Der Sechsjährige hat eine emotionale und geistige Behinderung. Er könne schwer Kontakt zu gleichaltrigen Kindern aufbauen, spiele kaum und habe häufig Wutanfälle. „Das sind die belastenden Momente“, sagt Kordula Huentz.
    Eine Bereicherung für ihre Familie sei der Junge aber ebenfalls: „Er bringt Entschleunigung und die Notwendigkeit für Humor in unsere Familie“, sagt die Pflegemutter. Über die Jahre sei auch die Bindung zu dem Jungen gewachsen. Für die Geschwister sei es eine wichtige Erfahrung, sich auf ihren Bruder zu konzentrieren und innezuhalten. „Das ist für uns alle ein Anlass, bewusster da zu sein, für ihn und für uns. Insofern: Ja, ich würde ihn wieder aufnehmen, wenn ich es heute neu zu entscheiden hätte.“
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  • Wie gestaltet sich der Umgang des Kindes mit seinen leiblichen Eltern? Auch darauf gibt es keine pauschale Antwort. Alle Eltern haben ein Recht auf Umgang mit ihren Kindern – und umgekehrt. „Nur das Kindeswohl kann dieses Recht brechen“, erläutert Judith Becirovic. Wenn also der Kontakt zur leiblichen Mutter oder zum Vater dem Kind schadet, müsse man ihn zurückschrauben. Beim Hilfeplangespräch verhandeln die leiblichen Eltern, die Pflegeeltern unter der Regie der Pflegekinderabteilung des Jugendamts die Details der Umgänge. Meist finden sie alle drei oder vier Wochen für mehrere Stunden statt. In manchen Fällen sind begleitete Umgänge mit einer pädagogischen Fachkraft notwendig.
  • Wie dringend werden Pflegefamilien gesucht? „Es gibt immer zu wenige Pflegefamilien“, sagt Judith Becirovic vom Konstanzer Jugendamt. Deutschlandweit fehlten etwa 4000 Pflegefamilien. In Konstanz sei die Lage momentan entspannt, „wir haben sogar Familien, die wir gerade nicht belegen können“. Für das Jugendamt Konstanz eine luxuriöse Lage: Es sei gewünscht, dass es eine gewisse Auswahl an Familien gebe. Kreisweit werden auch derzeit wieder Pflegefamilien gesucht.