Herr Sievers, man kennt Sie aus dem „heute journal“, jetzt moderieren Sie eine Live-Show, in der es um soziale Gerechtigkeit geht. Liegt da in Deutschland was im Argen?

Wir sind ein reiches Land, aber es gibt eine Menge Ungerechtigkeiten. Oder, um es etwas vorsichtiger zu formulieren: ungleich verteilte Chancen.

Wo sehen Sie diese Ungleichheiten?

Zum Beispiel bei der Bildung, bei der es immer noch eine große Rolle spielt, in welche Umstände man hineingeboren wird. Auch bei Themen wie Arbeit und Wohnen. Ganz wichtig ist auch der Komplex Erbe: Wer erbt, hat meist deutlich mehr als all die anderen – etwa zwei Drittel der Bevölkerung –, die da leer ausgehen. Alleine von Erwerbsarbeit wird man in den seltensten Fällen reich. Es gibt also viel zu besprechen.

Sie sprechen in der Sendung nicht nur mit Politikern, sondern auch mit ganz normalen Bürgern.

Genau, wir waren im Vorfeld in ganz Deutschland unterwegs, um in der Sendung konkrete Fälle zeigen zu können. Wir haben zum Beispiel eine Familie begleitet, die nach einer Kündigung wegen Eigenbedarfs aus ihrer Wohnung raus muss und nicht weiß, wie sie eine bezahlbare neue Bleibe finden soll.

Wir haben mit einer Verkäuferin gesprochen, die jeden Tag hart arbeitet, aber uns erzählt, wie sie jeden Cent umdrehen muss. Sie muss wirklich jede Ausgabe außerhalb der Reihe ganz genau überdenken. Eine von sehr vielen in Deutschland, die keinerlei finanzielles Polster haben.

Gibt es in der Sendung denn nur eine Bestandsaufnahme oder geht es auch um Lösungen?

Aber klar. Deshalb machen wir das ja in erster Linie. Wir haben Politikerinnen und Politiker im Studio, denen ich genau diese Frage stellen werde: Was sind eure Angebote zur Lösung dieser Probleme, wie wollt ihr die vom Tisch bekommen? Das ist das Anliegen der Sendung – wir wollen nicht nur zeigen, wo was im Argen liegt, sondern auch die verschiedenen Möglichkeiten, da rauszukommen.

Aber erhalten Sie von den Politikern dann nicht die altbekannten Antworten, die sie immer geben?

Ich werde alles tun, um sie nicht vom Haken zu lassen. Das Schöne an dieser Live-Sendung ist ja: Wir können die Antworten sofort abklopfen mit den betroffenen Bürgerinnen und Bürger, die auch dabei sind. Ich verspreche mir spannende Diskussionen zwischen Politik und Wählern.

Mir ist sehr wichtig, dass wir tatsächlich Antworten bekommen und das Ganze nicht nach dem Motto abläuft: Jeder Politiker sagt mal was. Außerdem soll es natürlich spannend werden. Deshalb haben wir uns für die Politikerinnen und Politiker auch ein paar kleine Überraschungen ausgedacht. Darauf freue ich mich ganz besonders.

Seit 1997 ist Christian Sievers beim ZDF. Das Bild zeigt ihn 2006 mit Patrizia Schäfer im Studio des Morgenmagazins.
Seit 1997 ist Christian Sievers beim ZDF. Das Bild zeigt ihn 2006 mit Patrizia Schäfer im Studio des Morgenmagazins. | Bild: Soeren Stache/dpa

Bekommen Sie als gut verdienender ZDF-Moderator von sozialen Nöten
überhaupt etwas mit?

Soziale Not ist ja mittlerweile etwas, was man im Straßenbild tagtäglich sehen kann. Ich spreche mit vielen Menschen. Zu erleben, wie jemand hart arbeitet, es aber vorn und hinten nicht reicht und einfach nichts Unvorhergesehenes mehr dazwischenkommen darf, das geht mir nah.

Die Inflation spüren wir alle – wenn die Pizza plötzlich 15 Euro kostet. Ich war gerade in Berlin in einem italienischen Restaurant, da begannen die Nudelgerichte auf der Karte bei 24 Euro. Ich bin gleich wieder raus. Da koche ich lieber zu Hause. So eine Pasta bekomme ich auch ganz gut selbst hin. (lacht)

Ist Deutschland für Sie trotz aller sozialen Probleme eigentlich nach wie vor ein gutes Land?

Ich lebe gerne hier. Aber es gibt eine ganze Reihe von Problemen, die wir anpacken müssen. Manches ist strukturell bedingt, manches politisch, manchmal stehen wir uns selbst im Weg. Ein bisschen mehr Gelassenheit täte uns allen gut. Und da nehme ich mich nicht aus.

Könnten Sie sich auch vorstellen, woanders zu leben?

In einem langen deutschen Winter mit viel Nebel und Regen kommt regelmäßig der Traum vom kleinen Häuschen auf einer griechischen Insel, der mich dann so schnell nicht mehr loslässt. Meeresbrise, Sonnenschein, weiß, blau. Aber es ist nur ein Traum. (lacht)

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Und wie beurteilen Sie momentan die Lage in Nahost, wo Sie ja früher als
Korrespondent gearbeitet haben?

Verzweifelt, verfahren und verdammt gefährlich. Und es kann sich jeden Tag – auch das ist typisch Nahost – komplett ändern. Ich will trotz allem die Hoffnung nicht verlieren, weil der Nahe Osten eine wirklich faszinierende Region ist mit ungemein liebenswürdigen und gastfreundlichen Menschen, denen ich nur das Allerbeste wünsche.

Fahren Sie denn noch ab und zu nach Tel Aviv, Ihre alte Wirkungsstätte?

Absolut, und ich finde es immer wieder bereichernd.