Sie wird heute nicht mehr oft danach gefragt, aber präsent ist das Zitat von Alexander Gauland noch immer irgendwie: Im August 2017 hatte er auf einer AfD-Wahlkampfveranstaltung im thüringischen Eichsfeld davon gesprochen, man werde die Integrationsbeauftragte Özoguz „in Anatolien entsorgen“.

Die hatte im Zuge der damaligen Leitkultur-Debatte in einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ folgenden Satz des Anstoßes geschrieben: „Eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.“ Aus dem Zusammenhang gerissen, war das der perfekte Aufhänger für Gauland.

„Mich haben diese schockierenden Aussagen absolut nicht kaltgelassen“, blickt die SPD-Politikerin beim SÜDKURIER-Redaktionsbesuch zurück. „Da überlegt man schon: Gibt es Menschen mit solchen Fantasien, wie Gauland sie an die Wand malt?“

Das Gute am Schlechten

Und trotzdem verbindet die heutige Bundestagsvize-Präsidentin auch Positives mit dem verbalen Angriff: „Mich haben unglaublich viele Menschen kontaktiert, um mir zu sagen, dass sie so etwas nicht wollen in Deutschland.“

Mit ein wenig Abstand wertet die 56-Jährige das als gutes Signal für die Verfasstheit der Gesellschaft. Gauland musste sich übrigens nicht wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten. „Dass diese unsäglichen verbalen Attacken zu keinen Konsequenzen geführt haben, war ein herber Schlag“, sagt Özoguz heute.

Die gebürtige Hamburgerin ist seit Oktober 2021 Bundestagsvize-Präsidentin – hier leitet sie die Sitzung, CDU-Chef Friedrich Merz ...
Die gebürtige Hamburgerin ist seit Oktober 2021 Bundestagsvize-Präsidentin – hier leitet sie die Sitzung, CDU-Chef Friedrich Merz (vorne) spricht. | Bild: Bernd Von Jutrczenka

Und wieder Leitkultur-Debatte

Sieben Jahre sind seither vergangen, die Leitkulturdebatte ist wieder zurückgekehrt, auch vor dem Hintergrund von anti-israelischen Protesten.

Jüngst forderten in Hamburg 1000 Islamisten die Einführung des Kalifats. Was sagt die gebürtige Hamburgerin dazu? „Bitteschön, wenn du in einem Kalifat leben möchtest, bist du im falschen Land“, gehe ihr da durch den Kopf. Was ihr aber wichtig ist: keine Pauschalisierung.

Wegen 1000 Islamisten dürften nicht reflexhaft fünf Millionen Muslime schlecht gemacht werden. An die Wirkung von Integrationsmaßnahmen bei Islamisten glaubt Özoguz nicht: „Damit kommt man bei so extremistischen Menschen kaum weiter. Einige dieser Leute wissen ganz genau, wie Deutschland funktioniert, aber wollen etwas komplett anderes – oder auch einfach provozieren.“ Frühe Ansprachen an Gefährder hält sie aber für wichtig, manchen gehe dabei ein Licht auf.

Scholz holte sie in die Politik

In die Politik kam Özoguz übrigens durch Olaf Scholz. Vor über 20 Jahren sprach der heutige Bundeskanzler die damalige Mitarbeiterin der Körber-Stiftung an, ob sie nicht für die Hamburger Bürgerschaft kandidieren wolle.

Das SPD-Parteibuch nahm sie erst ein paar Jahre später an. Zunächst habe sie sich schon gefragt, ob sie mit ihrem Nachnamen (den man übrigens mit stimmlosem „g“ spricht) auf Resonanz stoße, doch das sei für die Hamburger gar kein Thema gewesen: „Die hat interessiert: Du bist hier geboren, du wohnst hier im Wahlkreis und wir wollen sehen, was du politisch für uns erreichen kannst.“

20 Jahre später hat sich vieles geändert, aber noch immer ist sie die erste Muslima, heute im Bundestagspräsidium, wie zuvor schon im Kabinett und in der Hamburgischen Bürgerschaft – und noch immer eckt sie mit ihren Positionen gelegentlich an.

Doch auch diesen Auseinandersetzungen kann sie etwas abgewinnen: „Weil man durch diese Reibereien vielleicht erst zu dieser Normalität kommt.“ Eine Entwicklung, was politische Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund angeht, merkt Özoguz in jedem Fall.

Einwandererkinder ließen sich nicht mehr reduzieren auf die Herkunft ihrer Eltern oder Großeltern. Bei der Begegnung mit Schülergruppen merke sie, wie das die Jugendlichen motiviere. Nach dem Motto: Du kannst alles schaffen, wenn du dich anstrengst.